Diese
Schrift Frenssens stellt eine nationalsozialistische
Geschichtstheologie dar. Frenssen will zeigen, daß der
Nationalsozialismus und der „Hitlerismus“ die
göttlich-legitimierte und vollendete Form der Regierung und Führung
des deutschen Volkes darstelle. Die Niederlage im 1. Weltkrieg (1918)
und den Versailler Vertrag (1919) seien der „jüdische" Versuch einer
Demütigung und Unterjochung Deutschlands gewesen, der durch den
„göttlichen“ Eingriff Hitlers entgegen getreten worden sei. Die
Verfolgung der Juden und die Zerstörung der Demokratie und der
Grundrechte seit 1933, die Besetzung der Tschechoslowakei (sog.
„Protektorat Böhmen und Mähren“) und den deutschen Überfall
auf Polen rechtfertigt Frenssen mit Propagandalügen als
Form der Selbstverteidigung. Hitler wird von dem ehemaligen Pastor als
„Erlöser“ ähnlich der Art der Theologie des
Johannesevangeliums beschrieben und bedingungslos verehrt.
Kommentierte
Auszüge:
„Die Juden sind vor etwa hundert Jahren als
Vollbürger in unser Volk aufgenommen worden. Obgleich dies geschehen
war, hielten sie sich aber weiterhin, wie überall, in allen Völkern,
für sich gesondert. [...] Sie waren also nicht Deutsche, wollten es
auch nicht sein; sonst hätten sie sich mit uns Deutschen vermischt.
Nein, sie waren und blieben ein fremdes, kleines Volkstum in unserem
großen Volk, und wollten es sein.“
Erst 1871 war den Juden in Deutschland, nach
Jahrhunderten der Verfolgung und Rechtsbeschränkung durch einen
fast zwei Jahrtausende alten christliche Antijudaismus die vollständige bürgerliche Gleichstellung gewährt worden, von Anfang an vom
Widerstand der konservativen Eliten begleitet.
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Von Neonazis gern kopiert: Frenssens
nationalsozialistische Propagandaschrift
von 1940 (G. Grote Verlag Berlin). |
Frenssen macht die Juden für das Scheitern einer Agenda
verantwortlich, die von Anfang an nicht ehrlich gemeint war: Wie
Martin Luther, der erwartete, daß mit der Reformation der Kirche die Bekehrung der
Juden zum Christentum erfolgen würde und - als dies nicht eintrat
mit der Schrift „Von den Juden und ihre Lügen“ (1543) ihre
erbarmungslose Verfolgung und Vertreibung forderte, zeigt auch Frenssen zunächst jene
unehrliche Haltung der Emanzipationsbestrebungen im Deutschland des
19. Jahrhunderts, daß ein Jude, dem man alle Rechte verleihe, dann nicht mehr Jude/jüdischen Glaubens sein dürfe,
sondern „Verschwinden“ (im Volk aufgehen) müsse.
In einer Zeit, in der auch Heiraten zwischen den
christlichen Konfessionen eine seltene Ausnahme bildeten, macht
Frenssen den Juden zum Vorwurf sich nicht „vermischt“ zu haben.
Daß die innerjüdischen Bestrebung nach „Akkulturation“ oder
„Assimilation“ an die deutsche Kultur - Judentum nicht als
Nations- oder Volkszugehörigkeit, sondern als
Konfession/Glaube, mit der Einführung deutschsprachiger Gebet-
und Gesangbüchern und Orgeln (!) in den Synagogen (siehe: Israel Jacobson) - kaum in einem
anderen Land größer war als in Deutschland; daß 100.000 jüdische Männer im 1. Weltkrieg auf deutscher Seite kämpften (80.000
Frontsoldaten, 35.000 ausgezeichnet, 12.000 Gefallene), erwähnt
Frenssen natürlich nicht.
Er zeichnet das nationalsozialistische Zerrbild von den dem „germanischen
Wesen“ feindlichen und gänzlich fremden Juden, das dem moderne Antisemistismus entnommen ist: Den von Wilhelm Marr 1879 geprägten Begriff kennzeichnet die auf der
„Rassentheorie" basierende Vorstellung, daß Judentum und
„Germanentum" zwei entgegengesetzte Kräfte der Geschichte seien. Eine
„Vermischung" sei daher unmöglich und wäre- so der Titel von Marrs Schrift
- „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum".
In diesem Fahrwasser bewegt sich auch Frenssen: Die scheinbare Großzügigkeit Deutschland, die von den
Juden, aufgrund ihrer Fremdheit ausgeschlagen wurde, dient Frenssen
als Rechtfertigung ihrer Verurteilung. Denn eben jene Juden, denen
wohlgemerkt nur vorgeblich noch die Vermischung mit den Deutschen angeboten wurde,
sind nun die
„gänzlichen Fremden".
Daß, was jüdische
Mitbürger in ihrem Aufstieg in die bürgerliche Gesellschaft des
Kaiserreiches und der Weimarer Republik erreichten, galt ihm - und
den Antisemiten - als Angriff eines fremden Volkes von innen:
„Aber dann! Als unser Volk 1918 ausgeblutet, und
darauf von seinen Gegnern geschändet [...] verzweifelt war [...] da,
ja da geschah etwas Ungeheuerliches. Da griff das kleine, fremde
jüdische Volk, verlockt von der wunderbaren Gelegenheit, in wilder,
in unsagbarer Taktlosigkeit, in gewordener Gier nach der Herrschaft
über das deutsche Volk. [...] Im Staatswesen und der Politik: sie
bestimmten den Weg. [...] Schrecklich war der Zusammenbruch [1918]!
Schrecklicher der Friede von Versailles, dieser untermenschliche
Mordversuch perverser Idioten an einem Edlen Volk! Aber dies, was
danach kam, dieser Versuch, und - wie es schien - glückende Versuch
des kleinen fremden jüdischen Volkes in unserm großen deutsche Volk
[...] das war das Tollste. […] Ich sage: da war kein Geldstück in
unserm Land, kein Beschluß in Politik und Verwaltung, kein Hörsaal,
keine Volksschulklasse, auf denen nicht die Hand der Juden lag.“
(S. 6ff.)
Der Niederlage des 1. Weltkrieges, selbst der harte
Frieden von Versailles seien - so Frenssen - weniger schlimm als der
innere Angriff der Juden gewesen. Frenssen identifiziert die Weimarer
Republik als „Judenrepublik“. Es ist die klassische irrationale
Paranoia und Verschwörungslogik moderner Antisemiten, daß sie den
Geschichtsverlauf vor dem Hintergrund eines vermeintlichen
Welteroberungsprogramm der Juden deuten („Protokolle der Weisen von Zion“). Frenssens so geäußerter fanatischer Judenhass entspricht dabei
der irrationalen Größe seiner Behauptung von der totalen Herrschaft
der Juden über Geld, Politik und Bildung.
„Das deutsche Volk erholte sich vom Mordanschlag von
Versailles. Es erholte sich so weit, daß es auf seinen Knien liegen
konnte. Dann kam ein Mann [= Adolf Hitler] und machte es wach. Noch
halb betäubt, erhob es sich von den Knien und stand wieder auf
seinen Füßen. Es sah sich um. Was sah es? Was war das erste, das es
sah? Daß dies fremde kleine Volk sein Herr war, sein Herr in allem.
Und es verhöhnte. Was geschah?... Was geschah? Ja, was konnte
geschehn, als daß dies deutsche Volk rasend wurde? Über solche
unsagbare Schmach! Von denen ihm angetan, die es hundert Jahre lang
freundlich unter sich geduldet hatte? Es wurde rasend. Es jagte die
Meisten weg. Es jagte sie aus dem Land. Es säuberte den Boden seiner
uralten Heimat. [...] Gerecht oder nicht... es ist vielleicht nicht
menschliche, es ist wohl göttliche Gerechtigkeit!“ (S. 8-10).
So extrem wie Frenssen sich in seinen Lügen über die
vermeintliche „Judenherrschaft“ ausläßt, dienen sie ihm als
Rechtfertigung der nationalsozialistischen Unterdrückung und
Verbrechen, die sich schon in den Jahren 1933 bis 1939 abspielten, darunter
Berufverbot, KZ-Haft, Folterungen und Ermordungen, Zerstörung
jüdischer Geschäfte und Enteignungen und die Zerstörung der
meisten Synagogen in Deutschland in der Reichspogromnacht vom
9. auf den 10. November 1938, in der mindestens 400 jüdische Mitbürger getötet oder in den Selbstmord getrieben und 25.000 Juden in KZs
inhaftiert wurden.
In den weiteren Kapiteln verteidigt Frenssen die
außenpolitischen Ambitionen Hitlerdeutschlands, die er sich bemüht
als Sammlung des deutschen Volkes und gerechte Selbstverteidigung vor
allem gegenüber dem britischen Imperialismus darzustellen. Dabei muß
er auch die Besetzung der „Rest-Tschechei“ rechtfertigen:
„Bald danach, als eine Folge dieser Heimkehr [des
Sudentenlandes ins Reich] bot sich ein kleiner fremder Volkssplitter
, Böhmen-Mähren, freiwillig uns an. Jawohl „freiwillig“! Denn
er hatte schon tausend Jahre lang, mehr oder weniger enge, zu uns
gehört. Und er war zu klein, um selbständig leben zu können. Er
mußte auch fürchten, alleinstehend, von einem der Nachbarn
vergewaltigt zu werden. Er schloß sich uns an, weil er ringsum von
unserem Gebiet umgeben war.“ (S. 11)
Für Frenssen ist das tschechische Volk nur ein
„Splitter“, der deshalb kein Recht habe, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das Hitler als Argument für die Besetzung des Rheinlands,
dem Anschluß Österreichs und der Annektion des Sudentenlandes in
Anspruch genommen hatte, für sich anzuwenden. „Freiwillig“ habe
es sich angeschlossen. Frenssen macht so den „Vergewaltiger“
(Deutschland) zum vermeintlichen „Beschützer“.
Sind die Tschechen zumindest noch ein halbes Volk, so urteilte
Frenssen über Polen, das nach dem 1. Weltkrieg Gebiete in
Westpreußen, Posen und Oberschlesien zugesprochen bekommen hatte noch deutlicher:
„Niemals, zu keiner Zeit, war es länger als
fünfzig Jahre konsolidiert, ein Volk aus eigener Kraft. Und immer,
zu jeder Zeit seiner Vergangenheit, hatte es schlecht um seine Kultur
gestanden. […] Der Vertrag von Versailles stellte diese staatliche
Unfähigkeit, diesen Nichtstaat wieder her. […] Hochkultiviertes
deutsches Volk wurde der „polnischen Wirtschaft"
überantwortet, die in ganz Mitteleuropa sprichwörtlich bekannt ist,
der Unordnung, dem Schmutz, der Armut. Ja, und wurde gequält! Es
wurde von diesem Nichtstaat, dieser Unkultur gequält! […] So mußte
es [= Deutschland] diesem Zustand der Quälerei seines Blutes,
dieser seiner Schande ein Ende machen... Es hat ein Ende gemacht."
(S. 12f.)
Der
deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 markiert den Beginn
des 2. Weltkrieges. Frenssen argumentiert nicht allein mit dem
Selbstbestimmungsrecht der Deutschen, sondern bewußt und aggressiv
mit der „Unkultur“ Polens, das weder je ein Volk, noch einen Staat
gebildet habe. Das „Ur-Recht alles Volkswesens“, das für die
Deutschen gilt, gilt für die Polen nicht. Frenssen stimmt damit in
die rassistische Völker-Hierarchie der Nationalsozialisten ein.
Fazit:
Frenssen
rechtfertigt ausnahmslos die seit 1933 stattfindende Judenverfolgung,
die Annexion der Tschechoslowakei und den deutschen Überfall auf
Polen. Die antisemitischen und rassistischen Lügen (über Juden,
Tschechen und Polen) seien untrennbare Bestandteile der nationalen
Wiederherstellung des Deutschen Reiches. Er steht damit ganz auf der
Linie nationalsozialistischer Politik, die die Vertreibung (und
spätere Ermordung) der Juden und die Vorherrschaft der Deutschen
über die europäischen Völker als Ziele ihrer „Bewegung“
definierte.
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