BerthavonSuttner

Der Dithmarscher Pastor und Schriftsteller Gustav Frenssen (1863-1945), feierte im Kaiserreich als Vertreter der „Heimatkunst“ literarische Erfolge („Jörn Uhl“ (1901)) und zählte 1912 zu den aussichtsreichsten Kandidaten für den Literaturnobelpreis. Schon früh sind in seinen Aufzeichnungen jedoch radikale Ideen der Eugenik und Euthanasie festzustellen, die er ab Mitte der 1920er Jahre öffentlich kundtat („Möwen und Mäuse“ (1927)). Im Nationalsozialismus als „Vorkämpfer“ gefeiert biederte sich Frenssen den Machthabern an, vergötterte Adolf Hitler und rechtfertigte Krieg und Massenmorde. Im März und April 2014 beschlossen die Städte Heide und Brunsbüttel die Umbenennung der nach Gustav Frenssen benannten Straßen. Dieser Blog dokumentiert und kommentiert Frenssens menschenverachtendes Gedankengut und die öffentliche Diskussion über seine Person.

(Bild rechts: Gustav Frenssen - Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-S42619 über wikipedia.de)

Mittwoch, 3. April 2013

Frenssen und Bartels - Verbindendes, Trennendes

Gustav Frenssen (1863-1945) und Adolf Bartels (1862-1945) verbindet ihre Heimat, ihr berufliches Schaffen, ihre fast identische Lebensspanne und zuletzt auch ihre politische Überzeugung im Dienste des Nationalsozialismus - Ein Vergleich.

Gustav Frenssen starb am 11. April 1945 in Barlt. Noch in seinen letzten Worten, gerichtet an den Schleswig-Holsteinischen Gauleiter Hinrich Lohse, drückte er seine Überzeugung von und Hoffnung auf den Endsieg Hitler-Deutschlands aus. Am selben Tag befreiten die Amerikanischen Truppen bereits das thüringische Weimar, wo Adolf Bartels schon am 7. März 1945 verstorben war - unschwer zu vermuten mit derselben Gesinnung. Nur wenige Wochen später, am 5. Mai 1945 stehen die Briten auch in Dithmarschen. Der 2 Weltkrieg endet 3 Tage später.
Adolf Bartels, geboren in Wesselburen und Gustav Frenssen aus Barlt, beide Handwerkersöhne, hatten für kurze Zeit gemeinsam das Gymnasium in Meldorf besucht. Von hier aus nahmen ihre beiden Lebenswege jedoch zunächst einen völlig unterschiedlichen Verlauf:

Karrieren im Kaiserreich

Während Frenssen, wegen schlechter Noten, an das Gymnasium nach Husum wechselte, dort erst 1886 (mit 23) das Abitur ablegte, u. a. in Tübingen erfolgreich Theologie studierte und seit 1890 als Pastor in Hennstedt (ab 1892 in Hemme) tätig war, hatte Bartels 1882 die Schule kurz vor dem Abschluss allein weil sein Vater das Schuldgeld nicht mehr hatte aufbringen können abbrechen müssen. Als Hilfsschreiber am Wesselburener Amtsgericht und Nachhilfelehrer schlug er sich zunächst durch bevor er 1885 nach Leipzig zog und - ohne Aussicht auf einen akademischen Abschluss - Vorlesungen über Literatur, Geschichte und Philosophie besuchte. Zur selben Zeit als Frenssen wieder in seine Heimat zurückkehrte, hatte es Bartels zum Chefredakteur der Lahrer Zeitung (Baden) gebracht und bereits als freier Schriftsteller zahlreiche Gedichte, Erzählungen und für verschiedene Zeitungen, sowie Theaterkritiken und Rezensionen verfasst.
Das persönliche Verhältnis zu seinem ehemaligen Mitschüler Frenssen, dem die akademische Laufbahn nicht verwehrt geblieben war, und der mit "Jörn Uhl" (1901) einen überraschenden Durchbruch als Schriftsteller hatte, war zeitlebens belastet - vermutlich vom Neid Bartels -, wie ein teilweise erhaltener Briefwechsel zwischen den beiden, der sich um Bartels' Verriss eines Frenssenwerkes drehte andeutet.

Bartels: Völkischer "Vorkämpfer"

Um die Jahrhundertwende hatte sich Bartels, der in Frankfurt/Main seit 1892 mit jüdischen Intellektuellen, Schriftstellern und Verlegern bekannt war, zu einem radikalen Antisemiten gewandelt. Er veröffentlichte seine "Geschichte der deutschen Literatur" (1901/02) in der er unter 9000 Autoren eine "reinlichen Scheidung zwischen Deutschen und Juden" vornahm. Er prägte auch den Begriff der "Heimatkunst", jener literarischen Bewegung, die das vorindustrielle Zeitalter romantisch idealisierte und die meisten Erscheinungen der Moderne ablehnte.
In die Zeit des Kaiserreiches fällt auch seine politische Aktivität in der "Völkischen Bewegung", der nationalistisch-antisemitischen Strömung des Kaiserreich, aus der nach 1918 die NSDAP hervorging. 1913 organisierte Bartels den "Deutschen Tag" in Eisenach, der eine der frühen Versammlung völkisch-politischer Gruppen darstellte.

Frenssen: Liberal, national, sozial

Zu einer Zeit als sich in Bartels Schriften fast alles um den "Einfluss der Juden" auf die Deutsche Kultur drehte, war die Verbindung von Nationalismus und Antisemitismus, in Frenssens Schaffen und Äußerungen noch nicht gegeben. Jahrzehnte später, 1932, wird er in einem Brief schreiben:
"Ich war vor 30, 40 Jahren ein National-Sozialist und bin nie etwas anderes gewesen oder geworden. [...] Nun, da dieser National-Sozialismus in neuer Erscheinung hochkommt, gegen 70 Jahre alt, habe ich nicht mehr den schönen Glauben, an ihn wohl, aber nicht so an seine Vertreter. Ich habe aber für Hitler gestimmt [...] weil auch ich in ihm - ich habe ihn nicht gesehen - das Beste des deutschen Wesens ahne." (nach: Dohnke/Stein, S. 85)
Frenssen spielte damit auf seine Nähe zum liberalen "NationalsozialenVerein" Friedrich Naumanns an, mit dem zusammen er 1902 den Ehrendoktor der Theologie der Universität Heidelberg verliehen bekam. Den Pastor und Schriftsteller bewegen in diesen Jahren soziale Fragen seines heimatlichen Umfeldes, wie etwa die ernüchternde Situation der Landarbeiterschaft ("Die drei Getreuen" (1898)).
Daß Frenssen Naumanns Partei mit der Bewegung der neuen Machthaber zu identifizieren scheint ist höchst kurios: Der von 1896-1903 bestehende "Nationalsoziale Verein" war in Ablehnung der "Christlich-sozialen Partei" des ehemaligen preußischen Hofpredigers Adolf Stoeckers gegründet worden, weil er dessen Antisemitismus ablehnte. 1903 schloß sich Naumann mit den meisten Anhänger seiner Partei der "Freisinnigen Vereinigung" an, für die er ab 1907 im Reichstag saß. Adolf Bartels urteilt daher auch in seinem autobiographischen Buch "Kinderland" (1914), daß "der Freisinn nichts weiter sei als eine Judenschutztruppe" (Bartels, S. 459).

Weimarer Jahre

Nach dem ersten Weltkrieg blieb Adolf Bartels politisch eindeutig: rechtskonservativ und völkisch, und neigte zunächst der "Deutschnationalen Volkspartei" (DNVP) zu. Schon 1924 veröffentlichte er aber eine Broschüre mit dem Titel "Der Nationalsozialismus Deutschlands Rettung" und wurde 1925 Ehrenmitglied der NSDAP-Ortsgruppe Weimar.
Frenssen dagegen neigte zumindest Anfang der 1920er Jahre noch aufgeklärt liberalen Ansichten zu und bekannte sich zeitweilig zur neuen Demokratie. Seine Denken ist "disparat und schillernd" und "steckt noch voller Widersprüchlichkeiten und Unsicherheiten" (Crystall, S. 379). Die zwar schon vorhandenen Ideen zur Euthanasie und Rassenhygiene (Eugenik) rücken erst später in den Mittelpunkt. Auch eine sich radikalisierende antisemitische Haltung entwickelt sich erst in Korrespondenz mit seinem Verleger Müller-Grote und findet sich im zweiten Band der "Grübeleien" ("Möwen und Mäuse") von 1927 (Vgl. Crystall, S. 400ff., 404ff.)

Nach 1933

In der Zeit nach 1933 schließt Frenssen zu Bartels Publizistik der vorangegangenen Jahrzehnte auf: Während Bartels sich seinem letzten großen Werk, die "Geschichte der Thüringischen Literatur" (1938/1942) widmet, die zwar auch entsprechend gefärbt ist, aber keine eigentlich politische Schrift darstellt, entwickelt Frenssen sich zu einem Propagandisten der nationalsozialistischen Ideologie ("Der Glaube der Nordmark" (1936), "Recht oder Unrecht" (1940) und "Lebenskunde" (1942) u. a.). Zeitgleich mit dem Ausschluß der Brüder Mann und anderer liberaler oder jüdischer Autoren wird Frenssen zum Mitglied der "PreußischeAkademie der Künste" berufen. Seine Ehrung durch das Regime anläßlich seines 70. Geburttag läßt ihn in eine jener vielen Lücken aufrücken, die die Nationalsozialisten in der Kultur gerissen haben (Bücherverbrennung am 10. Mai 1933). Er wird Vorstandsmitglied des 1936 gegründeten "EutinerDichterkreises", der sich "bewusst den Zielen der NS-Regierung“ unterordnet (Lawrence D. Stokes) und arbeitet bis in die letzten Kriegs- und Lebensmonate für den Rundfunk und die Reichspressestelle der NSDAP. 

Schluß

Im schriftstellerischen und politischen Werdegang von Bartels und Frenssen finden sich neben Parallelen auch deutliche Gegensätze. Festzuhalten ist mit diesem sehr kurzen Abriss, daß beide keinesfalls bloß "harmlose Heimatschriftsteller" waren, sondern auch stets - persönlich und in ihren Werken - politisch bewegt waren (siehe auch: Frenssen's "Peter Moors Fahrt nach Südwest" (1906)).
So wie Adolf Bartels als klarer Wegbereiter und frühes Mitglied völkischer Gruppierungen und später der NSDAP identifiziert werden kann, muß man auch eingestehen, daß Gustav Frenssen - im Gegensatz zu seiner Frühzeit - aktiver, willentlicher und radikaler Propagandist der nationalsozialistischen Politik und ihrer Programme zur Euthanasie (T4-Krankenmord), Eugenik (Lebensborn) und der Verfolgung der Juden wurde.
Frenssen war wie Bartels nie ordentliches Mitglied der NSDAP. Seine frühe Erfolge als Schriftsteller machten ihn während der Jahre 1933 bis 1945 attraktiv für die Förderung eines Personenkults um ihn und seiner Schriften im Dienst des Regimes. Wenn die Aberkennung der Ehrung mit Schul- und Straßennamen für Bartels mit einer Verurteilung seiner vor 1933 erfolgten antisemitischen Propaganda begründet wurde, dann war und muß dies verständlicherweise ebenso für die breite und konkrete antisemitische Propaganda Frenssens in den Jahren nach 1933 gelten, auch wenn beide eine unterschiedliche Vorgeschichte haben.

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