BerthavonSuttner

Der Dithmarscher Pastor und Schriftsteller Gustav Frenssen (1863-1945), feierte im Kaiserreich als Vertreter der „Heimatkunst“ literarische Erfolge („Jörn Uhl“ (1901)) und zählte 1912 zu den aussichtsreichsten Kandidaten für den Literaturnobelpreis. Schon früh sind in seinen Aufzeichnungen jedoch radikale Ideen der Eugenik und Euthanasie festzustellen, die er ab Mitte der 1920er Jahre öffentlich kundtat („Möwen und Mäuse“ (1927)). Im Nationalsozialismus als „Vorkämpfer“ gefeiert biederte sich Frenssen den Machthabern an, vergötterte Adolf Hitler und rechtfertigte Krieg und Massenmorde. Im März und April 2014 beschlossen die Städte Heide und Brunsbüttel die Umbenennung der nach Gustav Frenssen benannten Straßen. Dieser Blog dokumentiert und kommentiert Frenssens menschenverachtendes Gedankengut und die öffentliche Diskussion über seine Person.

(Bild rechts: Gustav Frenssen - Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-S42619 über wikipedia.de)

Donnerstag, 23. Januar 2014

"Russenstraße" - DLZ druckt "bösen Scherz" unter falschem Namen ab

Mancher Leser der "Dithmarscher Landeszeitung" wird sich schon bei der Ausgabe vom 21. Januar gewundert haben wie das passieren konnte: Die DLZ hatte zu einer Leserumfrage aufgerufen und darum gebeten, Namensvorschläge im Falle einer Umbenennung der Heider "Gustav-Frenssen-Straße" abzugeben, die wegen der nationalsozialistischen Propaganda des Dithmarscher Schriftstellers seit Wochen in der öffentlichen Kritik steht. Möglich war dies in einem Online-Forum, per Mail und auch per Post. Einen entsprechenden Coupon hierfür zum ausschneiden druckte die Zeitung ab.

In ihrer Ausgabe vom 21. Januar wurde verkündet, dass es "knapp 100 Einsendungen" gegeben habe. 20 von Ihnen druckte sie samt evtl. abgegebener Begründung mit Namen und Wohnort des Absenders ab. Darunter waren auch solche, die sich für eine Beibehaltung des Namens aussprachen. Einer, der von einer Anwohnerin der Gustav-Frenssen-Straße stammen sollte, hatte folgenden Inhalt:
"Gustav-Frenssen-Straße: Der Name soll so bleiben wie er ist. Oder Russenstraße. Hier wohnen fast nur noch Russen."
Man fragt sich nun schon einmal, warum unter den Vorschlägen und Begründungen auch diese zum Abdruck ausgewählt wurde, die latente Vorbehalte gegenüber den u. a. in der Straße lebenden Spätaussiedlern pflegt, die mit der verbalen Stigmatisierung "Russen" belegt werden. Hier allein ließ die DLZ bereits die entsprechende Sensibilität vermissen, indem öffentlich eine Gruppe von Menschen wegen ihrer Herkunft mit einer abwertend gemeinten Bezeichnung stigmatisiert wurde. Die Geschichte bekam aber nochmal eine Wende, als am Folgetag (22. Januar) eine Erklärung in eigener Sache abgegeben werden mußte: 
"Falscher Name angegeben 
Heide (ch) Da hat sich jemand einen bösen Scherz erlaubt: Unter dem Namen und der Anschrift von ...* antwortete ein Unbekannter auf unsere Leser-Umfrage zur Gustav-Frenssen-Straße. "Mir wurde etwas in den Mund gelegt, was ich niemals sagen würde", ärgert sich ....*"
*Vor- und Zuname im Original angegeben.
Kein Wort dazu, dass man besser von vornherein darauf verzichtet hätte. Diese wenig rühmliche Episode reiht sich ein in die Veröffentlichung zweier Leserbriefe im Dezember 2013, die mit antisemitischen Klischee und der Verharmlosung von Rassismus und Euthanasie (Kranken- und Behindertenmorde) aufwarteten.
Der Abdruck des "Russen"-Vorschlages erweitert jedenfalls das Bild, dass so manche Verteidiger von Gustav Frenssen oft nicht nur Liebhaber seiner frühen literarischen Produktion, sondern auch seiner späteren politischen Ansichten sind. So erhielt ich im Zusammenhang mit einer im März/April 2013 durchgeführten Anwohnerumfrage auch folgendermaßen beschriftete Rückantwortkarte:

"Für die Kanaken!! Kanakenstrasse Klein Russland"
  
Es würde mich nicht wundern, wenn der Absender der Karte derselbe ist, der jetzt die Dreistigkeit besaß, betrügerischerweise die Namen seiner Nachbarn zur Verbreitung seiner Gesinnung zu mißbrauchen - Schade, dass er hiermit Erfolg hatte.

Sonntag, 19. Januar 2014

Fußballer, Pferd, Frenssen? – Womit wollen wir uns schmücken?

Die „Dithmarscher Landeszeitung“ veröffentlichte gestern (18.01.2014) eine erste Zusammenstellung von Vorschlägen, die von Lesern als Namensalternative im Falle einer Umbenennung der Gustav-Frenssen-Straße gemacht wurden. Wie immer in solch einem Fall, ist es eine Mischung aus absurden, aber auch ernsthaften und überlegenswerten Namen.

Zu den absurden gehört, wie man auch im Internet-Forum der DLZ nachlesen kann, die Benennung nach dem ehem. VW-Funktionär und Namensgeber der Schröderschen Sozialreformen (Peter-Hartz-Straße) oder auch nach dem derzeitigen Heider Bürgermeister (Ulf-Stecher-Allee, "Grinsebacke-Weg"). Hier hat wohl der ein oder andere die Gelegenheit genutzt um Frust loszuwerden.
Andere Vorschläge sind dagegen rührig: So schlug ein Leser die Benennung nach dem bekanntesten Pferd des Olympia-Goldmedaillengewinners im Mannschaftsspringreiten, Fritz Thiedemann, vor (Meteor-Straße), nach dem in Heide auch schon eine Umgehungsstraße benannt ist (Fritz-Thiedemann-Ring). Dabei ist es ja nicht so, dass diesem Pferd bisher nicht genug Würdigung widerfahren wäre: In Kiel steht vor der Staatskanzlei am Förde-Ufer eine lebensgroße Statue. Im unwahrscheinlichen Falle einer entsprechenden Umbenennung, würde sich das Tier in der Nachbarschaft zur Theodor-Storm-Straße, dem Verfasser des „Schimmelreiters“, vielleicht zwar wohlfühlen. Man würde sich aber doch zu sehr an die Geschichte des römischen Kaisers Caligula erinnert fühlen, der sein Lieblingspferd Incitatus zum Konsul ernennen wollte.
Auch der Heider Fußballer und einmalige Nationalmannschaftspieler Willi Gerdau hätte seinen Namen sicher lieber mehr in sportlichen Zusammenhang gesehen (Stadion des Heider SV o.ä.) als in der Nachspielzeit für Gustav Frenssen in eine Mannschaft von Literaten  eingewechselt zu werden.

Ernsthafter sind dagegen die Vorschläge, die zeitgenössische Literaten nennen: Sarah Kirsch, die 1935 in Thüringen geborene und 2013 verstorbene Lyrikerin lebte nach ihrer Übersiedlung aus der DDR im Jahre 1977, von 1983 bis zu ihrem Tod zurückgezogen in Dithmarschen (Tielenhemme), und war streitbar was politische Unterdrückung oder Verfolgung anging. Andere fänden dagegen Elsa Peters (1906-1998) schön. Die Verfasserin plattdeutscher Geschichten wurde – noch ihren zu Lebzeiten – 1983 in einem Leserbrief bereits einmal als Ersatz für die Gustav-Frenssen-Straße vorgeschlagen („Warum eigentlich immer nur posthume Ehrungen? Wie wär's denn mit „Elsa-Peters-Straße“?“; Leserbrief von Sieglinde Zimmermann, Heide; DLZ vom 20. Sept. 1983).

Es zeigt sich das Dilemma: Wen oder was soll man ehren? Politiker, Pferd oder Sportler? Entweder die plattdeutsche Heimatdichterin oder doch die zugezogene kosmopolitische Lyrikerin? Möglich ist bei Straßen prinzipiell alles, was gesellschaftlich und kommunalpolitisch erwünscht ist, wenn es nun um die Planung neuer Wohn- und Gewerbegebiete geht. Hier geht es aber um die Umbenennung einer bereits bestehenden Straße eines Wohngebietes, das als „Dichter-Viertel“ bekannt ist, und mit "Theodor Storm" oder "Gorch Fock" aufwartet.

Der „fast-Literaturnobelpreisgewinner“ Gustav Frenssen gab in anderen Gemeinden sogar meist die Leitlinie vor: So folgte ihm in Elmshorn – folgerichtig - der tatsächliche Preisgewinner Thomas Mann, in Flensburg folgte dem Ex-Pastor der evangelische Lieddichter Matthias Claudius. Und in Hamburg ersetzte 1986 Anne Frank den Namen des antisemitischen Propagandisten (Übersicht siehe hier: http://pro-mann-strasse-heide.blogspot.de/2013/03/chronik-umbenennung-von-gustav-frenssen.html).
Als in Kiel eine Gustav-Frenssen-Straße im Jahr 2011 nach Joachim Ringelnatz umbenannt wurde bestimmten die Kommunalpolitiker damals, dass unter dem Straßenschild noch ein Erklärungsschild angebracht wird, das mehr über Gustav Frenssen und weshalb die Straße nicht mehr nach im benannt sein darf aussagt, als dass es über den neuen Namensgeber, der den Nazis als unkonventioneller Kabarettist ein Dorn im Auge war informiert. Man wollte zeigen, dass man sich über Frenssen seine kritischen Gedanken gemacht hatte. Dass Ringelnatz nun aber wie ein „Lückenbüßer“ erscheint, hat man dabei nicht bedacht.
Es ist nicht falsch den jüngeren Frenssen einmal zu lesen, der vom alten Frenssen noch (fast) nichts wusste. In Barlt steht noch sein Haus, in dem die verhängnisvolle Karriere des ehem. Pastors und Erfolgschriftstellers zum Nazi-Propagandisten vermittelt wird und zur Mahnung dienen sollte. Diese Mahnung an einem neuen Straßenschild für jemand anderen ist aber unangebracht.

Gustav Frenssen, für dessen Roman „Otto Babendiek“, den Arno Schmidt für ein „Meisterwerk zweiten Ranges“ hielt, sich einzelne vielleicht zurecht einsetzen, wobei andere sich eine "Jörn-Uhl-Straße" (nach einem anderen Frenssen-Roman) vorstellen können, hat sein Werk zuletzt als „germanisches Schrifttum“ verstehen wollen und viele von den Nazis verfolgte Autoren, die Manns, Stefan Zweig, Lion Feuchtwanger etc. aus der deutschen Kultur ausrotten wollen. Bei der Suche nach einem neuen Straßennamen, die wohl selten von so viel öffentlicher Anteilnahme begleitet worden ist, geht es jedenfalls um viel: Wofür soll die „Heimat“ heute stehen: Pferd oder Fußball? Kulturelle europäische Integration oder provinzielle Erdverbundenheit? Es scheint jedenfalls, dass es hierbei auch um das Selbstverständnis unserer Region gilt: "So weit weg von Hamburg und doch so nah dran an Nordfriesland."  

Mittwoch, 15. Januar 2014

Thomas Mann - "Deutsche Hörer!" vom November 1941

Thomas Manns eindringliche Ausführungen in der BBC aus dem amerikanischen Exil im November 1941, in denen er die Kranken- und Behinderteneuthanasie, Eugenik und die Massen- und Völkermorde in Osteuropa aufzählt und verurteilt. Diesen Appell richtete er an „Deutsche Hörer!“, zu einem Zeitpunkt als Gustav Frenssen, daheim im dithmarscher Dorf Barlt, gerade in seiner „Lebenskunde“ (erschienen 1942) das Gegenteil niederschrieb (Siehe dazu auch: "Amtmannschaft Wittschild" (1923/1937)). Ein aufrüttelndes Dokument, das man, neben vier weiteren Reden auf, youtube.com nachhören kann.

 

Aus dem obigen Video (Anmerkungen unten beachten):
In deutschen Lazaretten und Krankenhäusern werden die Schwerverwundeten*1, zusammen mit Alten, Gebrechlichen, Geisteskranken durch Giftgas zu Tode gebracht. 2000 von 3000 so erzählte ein deutscher Arzt, in einer einzigen Anstalt. Das tut dasselbe Regime, das auch grölt, wenn Roosevelt es beschuldigt, es wolle Christentum und alle Religion vernichten.
[...]
Das „christliche“ Gegenstück zu den Massenvergasungen sind die „Begattungstage“, wo beurlaubte Soldaten mit BDM-Mädchen zutierischer Stundenehe zusammen kommandiert werden, um „Staatsbastarde“ für den nächsten zu Krieg zu zeugen.*2 Kann ein Volk, eine Jugend, tiefer sinken? Gräuel und Lästerung der Menschlichkeit wohin ihr seht.
[…]
Heute weiß es [= das deutsche Volk] nichts, als Völker- und Massenmord, blödsinnige Vernichtung. 300.000 Serben sind nicht etwa im Kriege, sondern NACH dem Kriege mit diesem Land, von euch Deutschen auf Befehl der verruchten Lumpen, die euch regieren, umgebracht worden.*3 Das Unaussprechliche, das in Russland, das mit den Polen und Juden geschehen ist*4 und geschieht, wisst ihr, wollt es aber lieber nicht wissen, aus berechtigtem Grauen vor dem ebenfalls Unaussprechlichen, dem ins riesenhafte heranwachsendem Hass, der eines Tages, wenn eure Volks- und Maschinenkraft erlahmt, über euren Köpfen zusammenschlagen muss.
[*1 In diesem Punkt saß Mann einer Fehlinformation auf, bzw. interpretierte seine Quellen falsch. Keinesfalls weniger schlimm wurden allerdings durch psychische Erkrankungen dienstunfähig gewordene Soldaten durch Euthanasie getötet. Über eine Euthanasie versehrter Wehrmachtsangehöriger ist in der Forschung nichts bekannt. Bekannt waren dagegen die Vergasungsaktion an Behinderten und Kranken in der sog. T4-Aktion, und an KZ-Insassen in der Aktion 14f13.]
[*2 Diese Vorstellung vom Geschehen in den weitgehend abgeschotteten Lebensbornheimen beruht v.a. auf Spekulationen, die zur damaligen Zeit in der Deutschen Öffentlichkeit darüber kursierten (siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Lebensborn#Wahrnehmung_in_der_.C3.96ffentlichkeit). Zu den verwerflichsten Taten im Rahmen des Lebensborn gehört der Raub "arischer" Kinder aus besetzten Gebieten und deren Zuteilung an nazi-treue, deutsche Familien.]
[*3 Nach der in einem 12-tägigem Krieg erfolgten Besetzung Yugoslawiens im April 1941 wurde das Land aufgeteilt und verschiedenen Regimen zur Verwaltung unterstellt. Den größten Teil machte das Gebiet des Marionettenstaates Kroatien aus. Die faschistische Regierung unter Ante Pavelić (Ustascha) führte ein rigoroses Programm ethnischer Säuberungen durch, das Kroatien durch Konversion (zum röm.-katholischen Glauben), Vertreibung und Ermordung je eines Dittels der serbischen Bevölkerung "serbenrein" machen sollte (Dies bezog sich aber auch auf Juden, Sinti und Roma; Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Ustascha#V.C3.B6lkermord). Neben zahlreichen einzelnen Massakern wurden allein im KZ Jadovno in der Zeit von Mai 1941 bis August 1941 nach mittleren Angaben ca. 40.000 Menschen getötet (95% davon Serben (Siehe: http://en.wikipedia.org/wiki/Jadovno_concentration_camp#Death_toll).]
[*4 Bis zum Jahresende 1941 waren nur in den besetzten Gebieten der Sowjetunion zumeist durch Massererschießungen bereits ca. 500.000 Juden ermordet worden. Himmler meldete Hitler am 31.12.1941 eine Zahl von 363.000 als "Partisanen" erschossenen Juden für die Monate August bis November (Siehe dazu auch die folgende Liste von Massakern: http://de.wikipedia.org/wiki/Holocaust#Systematische_Massenerschie.C3.9Fungen)]

In mehrere Dutzend Reden wandte sich Thomas Mann zwischen Oktober 1940 bis Mai 1945 monatlich über das deutsche Programm der BBC an seine Landsleute. Nur wenige der Reden, in denen Mann versucht den "" ins Gewissen zu reden, sie über nationalsozialistische Verbrechen und Propagandalügen zu informieren, sind als Ton-Dokumente erhalten. Obwohl das Hören des "Feindfunks" unter hohen Strafen stand, haben nicht wenige eingeschaltet (Mein Urgroßvater hat - als überzeugter Anhänger der Sozialdemokratie - regelmäßig gehört).
Auch in seiner Rede vom 27. September 1942 macht Thomas Mann darin die ersten Ergebnisse der auf der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 beschlossenen "Endlösung" öffentlich:
"Nach den Informationen der polnischen Exil-Regierung sind alles in allem bereits 700.000 Juden von der Gestapo ermordet oder zu Tode gequält worden [...] Wisst Ihr Deutschen das? Und wie findet ihr es?"
"Was sind das für Menschen, für Ungeheuer, die des Mordens nie satt werden, denen jedes Elend, das sie den Juden zufügten, immer nur ein Anreiz war, sie in noch ... erbarmungsloseres Elend zu stürzen?"

„… die Bücher der Brüder Mann und ihres Judengefolges“ - literarischer Rassismus bei Gustav Frenssen

Die Brüder Heinrich und Thomas Mann nehmen ab Ende der 1920er Jahre in den Schriften Gustav Frenssens die Rolle von Antipoden seines „germanischen“ Werkes ein. Für Frenssen sind sie Symbolfiguren einer „jüdisch-romanischen Herrschaft“ auf kulturellem, wie auf allen anderen Gebieten der deutschen Gesellschaft, die sich nach der Niederlage im 1. Weltkrieg etabliert habe. Die Ehrung Thomas Manns mit dem Nobelpreis sei Teil einer Verschwörung der europaweit agierenden „jüdischen Presse“, durch welche Autoren „germanischer Art“ unterdrückt würden. Für Frenssen war dies eine willkommene Erklärung der sinkenden Absatzzahlen seiner Bücher, die ihm auch sein Verleger Müller-Grote in Briefen „bestätigte“.
Der Literaturnobelpreis an Thomas Mann im Jahre 1929 wird in Frenssens Veröffentlichungen bis zu seinem Lebensende 1945 zu einer letzten Bestätigung seines rassistisch-antisemitischen Weltbildes. Auch seine persönliche Verletzung, wie er sie im entsprechenden Kapitel des „Lebensbericht“ nur schwer verbergen kann, wird zur Grundlage einer kühlen und ausnahmslosen Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gleichschaltung und Diktatur, der Verfolgung und Vertreibung der Juden und Andersdenkender als gerechte Wege zur Beseitigung „widerdeutscher“ Einflüsse, bis hin zum Massenmord.

Eine von Frenssen auf das Jahr 1931 datierte Notiz in seinem 1938 erschienenen dritten Band der „Grübeleien“ (Vorland) lässt bereits jenen Affekt erkennen. Hier wird die antisemitische Vorstellungswelt einer „jüdischen Weltverschwörung“, die die Verleihung des Literaturnobelpreis kontrolliert, deutlich, denn Frenssen zitiert Sinclair Lewis, der den Preis 1930 erhielt:
Man muß den Juden klaren Beweis liefern, daß man ihr Freund ist. In seinem „Sam Dods- / worthy“ nennt er [= Sinclair Lewis] also, als die vier großen deutschen Zeitgenossen, drei Juden, dazu Thomas Mann, der, da er sein Kunstgefühl von seiner Mutter hat, die eine Romanin gewesen war, in deutscher Sprache romanische Kunst schafft und den Juden darum besonders nahe steht. […] Im germanischen Volk von siebzig Millionen sind lauter Nichtdeutsche, Fremde, die einzigen großen Namen!! So muß man es machen! Nun ist er, kraft der jüdische Presse, die Europa beherrscht, von Wien bis Stockholm der größte amerikanische Schriftsteller.“ (S. 192-193)
Das Motiv einer jüdisch(-romanischen) Verschwörungslegende im Kulturbetrieb ist der Weg auf dem Frenssen bis zum Ende seines Lebens bleiben wird. Dass der „jüdische Einfluss“ eine europäische Dimension habe und auch andere Völker (Schweden) betreffe, führt er wenig später, in „Recht oder Unrecht - Mein Land!“ (1940), nochmals aus. Nachdem er die Verfolgung und Vertreibung vieler jüdischer Mitbürger, „die einmal Gäste waren in Germanien“, zuvor als „göttliche Gerechtigkeit“ bezeichnet hatte, schreibt er:
Die städtische Masse in diesen vier Völkern [gemeint sind die Schweiz, Holland, Norwegen und Schweden] [hatte] sich von Deutschland abgewandt […] und damit auch vom germanischen Wesen. Wohin? Wohin wandte sie sich? Nach Juda, nach Juda! Zu dem vaterlandlosen und heimatlosen, fremdblütigen, fernen, fernen Volk! Ah, diese feine, spielende (mit allem spielende), schillernde, jüdische Kunst! In ihren Buchläden stehn immer, noch heute, nachdem doch Klarheit geschaffen, als deutsche Kunst … als deutsche Kunst! … die Bücher der Brüder Mann und die Bücher ihres Judengefolges. Die Brüder Mann haben Geist und Seele nicht von ihrem germanischen Vater, sondern von ihrer spanischen Mutter, und sind dem deutschen Wesen fremd und fern. Jedes der großen Menschenworte: Frömmigkeit, Freiheit, Gerechtigkeit, Sitte, Bildung bedeutet allen diesen anderes als uns Germanen. Es sind fremde Menschen; sie haben mit / germanischem Wesen nichts mehr zu tun, als daß sie einmal Gäste waren in Germanien und sich germanischer Sprache bedienten.“ (Seite 45-46).
Mit der „Klarheit“, die geschaffen worden sei, bezieht sich Frenssen auf die Bücherverbrennungen (Berlin, 10. Mai 1933, „Wider den undeutschen Geist!“), bzw. andere nationalsozialistische Maßnahmen wie Berufsverbote für jüdische Akademiker, den Ausschluß Heinrich Manns und anderer aus der Preußischen Akademie der Künste (1933), die Aberkennung der Ehrendoktorwürde von Thomas Mann und dessen Ausbürgerung (1936).
Gustav Frenssen gibt keine konkrete Beschreibung davon, wie „germanische“, „romanische“ oder „jüdische“ Kunst in der Literatur aussähe. Eben jenes hatte Frenssens Dithmarscher Zeitgenosse und ehemaliger Mitschüler Adolf Bartels (1862-1945) schon im Kaiserreich versucht festzustellen. Dieser gab in seiner 1901 veröffentlichten "Geschichte der deutschen Literatur", die bis 1941 immer wieder ergänzt wurde und in insgesamt 17 Auflagen erschien, unter anderem so „wissenschaftliche“ Urteile ab wie: „Ein echter jüdischer Frechling“ (über Kurt Tucholsky) oder „riesig sind […] Eitelkeit und Unverfrorenheit“ (über Heinrich Heine).
Dass Frenssen nicht umhin kann doch einzuräumen, dass der „Halb-Spanier“ Thomas Mann, den man eigentlich höchstens einen „Viertel-Portugiesen“ hätte nennen können, doch „so viel ein deutscher Geist romanische Art und Kunst mitempfinden kann, ein starker Künstler“ sei (Lebensbericht, S. 258), ist eine andere Pointe.
Zuletzt führte er besonders in seinem „Lebensbericht“ von 1940 ab Seite 256 auf vielen Seiten nochmals die von ihm als „Schande“ und „Demütigung“ gewertete Zeit der Weimarer Republik aus. Häufigst genannt sind auch hier wieder die Brüder Mann. In Abschnitt 64 seines „Lebensberichtes“ lässt er sich noch einmal über den Nobelpreis aus. Seine persönliche Verbitterung wird deutlich, wenn er in Verschwörung witternder Manier Gründe auszumachen versucht, weshalb er den Preis nie erhalten habe:
Da sind die Mitglieder der schwedischen Akademie, die „Gelehrte irgendeiner andern Wissenschaft [sind], die […] der schönen Literatur fernstehen“ und sich daher auf „Fachgelehrte“ stützen würden. So seien sie dem „seit etwa 1890“ den „germanischen (nordischen) Begriff der Kunst […] überflute[nden]“, „romanisch-jüdische[n] Kunstgefühl“ ausgeliefert gewesen (S. 292).
Frenssen ist sich sicher, dass „das schwedische Volk [.] sich […] in seinem gesamten geistigen, wie seinem Kunsturteil, von Leuten volksfremden Gefühls leiten“ ließ (S. 294). Nur so erklärte er sich, habe es dazu kommen können, dass die Akademie „in ihrem Urteil fehlgriff“ und sie so „in ziemlichem Grade das Volk, dem der Gekrönte angehörte“ „schädigte“ (S. 293).
Er bedauert es, dass „die Namen derer, die […] vielleicht gar ein oder einige Male fast die Mehrheit der Stimmen hatten, durchaus verschwiegen werden“ und scheint sich zu jenen zu zählen, die einer solchen „Demütigung“ ausgesetzt waren (S. 294).
Frenssen meint schließlich auch genau zu wissen, dass dies nicht im Sinne Alfred Nobels gewesen sein könne:
Er wollte, als ein germanischer Mensch, daß mit seinem Namen und Geld Werke geehrt würden, welche die Menschenseele ehrten und durch solches Ehren erhöhten. Er wollte daß Werke Heidenstamms, Lagerlöfs, Hamsuns, der Undset, Hauptmanns, Thomas Hardys, Rollands geehrt würden, aber Werke Frances, Manns, Lewis, Pirandellos ausgeschlossen waren. Das war der aus seinem germanischen Herzen und ästhetischen Gefühl stammende, sittliche germanische Wille des Stifters“ (S. 293).
Es ist seltsam, weshalb in Frenssens Liste gelobter skandinavischer, deutscher und englischer Nobelpreisträger auch der linksorientierte französische Intellektuelle Romain Rolland auftaucht, der nach 1933 in Deutschland zu den verbotenen Autoren gehörte. Eigentlich ist die kleinlaute Schutzbehauptung eines Enttäuschten, dass der „Germane“ Nobel doch dem „Germanen“ Frenssen seinen Preis gegönnt hätte, kaum der Rede wert, wäre sie als prinzipiell rassistische Kategorisierung nicht alles andere als harmlos. Was für Frenssen unter einem „germanischen Menschen“ zu verstehen ist, und was für diesen das sogenannte „Wahrgutschöne“ sei, erläutert er nur wenig später in der „Lebenskunde“ (1942):
Die aber, die unheilbar sind und so schwer krank, daß ihr Leben für sie selbst kein Menschenleben mehr ist, die auch in der Gemeinschaft der Menschen nicht mehr mitleben können, Mensch mit Mensch, sollen nach germanischem Gefühl für das Wahrem mit ihrer eigenen Billigung oder nach dem Willen der Gemeinschaft ausgelöscht werden. […] Solche Kranke sind die völlig verkrüppelten Neugeborenen, die unheilbaren Idioten, die unheilbaren Irren. Ferner die gebornen Mörder, Rohlinge (Gewalttäter), Einbrecher, Diebe, Arbeitsunwillige, Herumstreicher, Volksfeinde aus krankem Willen oder um Geld. / […] Es ist dem germanischen Gewissen unwahr und unrecht, sie weiterhin die Volksgemeinschaft schädigen zu lassen, wahr und recht, sie auszulöschen.“ (S. 53-54)
Für die Brüder Heinrich und Thomas Mann selbst, ihre Kinder nach Nürnberger Rassegesetzen „Halb-Juden“, die jüdischen Mitbürger, Sinti und Roma und andere gelte nach einer anderen Stelle: „Unedles Fremdblut und Mischblut, das, weiter gesät, ein Volk erniedrigt, soll ausgeschieden sein“. (S. 91). Wie nahe dabei die Adjektive „unedel“ und „fremd“, den Beiwörtern „krank“ und „unheilbar“ sind, ist spätestens im selben Jahr (1942) endgültig sichtbar, als die „Endlösung“ anläuft. Der Griff in die Schublade rassistischer Kategorien, Klischees und Karikaturen sollte am Ende für Millionen tödlich werden.

„Wenn er stürbe, wäre ein Wertloser weniger.“ - Frenssens „Tagebuch der Amtmannschaft Wittschild“ (1923)

Im dritten Band der „Grübeleien“ (Vorland), der Frenssens Notizen der Jahre 1920-1935 enthält, findet sich ein fiktives Tagebuch aus dem Jahr 2023. Frenssen führt den Leser folgendermaßen darin ein:
Da ich immer noch nicht erkannte, wozu zwei Millionen junge Deutsche gefallen sind [Anm.: im 1. Weltkrieg], und wieder weggeführt wurde, und im Träumen in Jahre, die noch nicht sind, sah ich den Amtmann, wie er an seinem Tisch saß und schrieb. Und er schrieb:“ (S. 49)
In dieser Notiz, die das längste Stück in „Vorland“ ist (S. 49-70), zeichnet Gustav Frenssen eine für uns erschreckende Vision eines Deutschlands in hundert Jahren, das von staatlichen Zwangsmaßnahmen von Euthanasie und Eugenik bestimmt ist, mit Massenmord und Menschenzucht. Zehn Jahre vor Beginn der nationalsozialistischen Diktatur und vermutlich auch einige Jahre bevor Frenssen überhaupt in der damaligen Splitterpartei der NSDAP und Adolf Hitler die Verwirklicher seiner rassistisch-biologistischen Visionen erkennen würde, zeichnet er hier unabhängig vom späteren Gang der Geschichte das Bild einer Gesellschaft, die streng nach dem „göttlichen, biologischen Gesetz“ geordnet sein solle. Hier sehen wir schon im Jahre 1923 bei Frenssen jene Ideologie, die er 1942, nun vor dem Hintergrund der real begonnenen Vernichtung von „lebensunwerten Leben“, nochmals in einem Werk („Lebenskunde“) kundtat.
Die hier folgenden Fallbeispiele (A bis H), die er im „Tagebuch“ bringt, beschränken sich auf den Bereich der Aussagen zu Euthanasie und Eugenik. Frenssen lässt in dem Abschnitt aber den Amtmann auch das Schulwesen (starke und frühe Differenzierung nach den Erbanlagen der Kinder; kürzer Schul-, Lehr- und Universitätszeit, damit spätestens mit 22 Jahren das „zeugen und gebären“ beginnen kann; „Dem ganzen Schulwesen liegt die angeborene germanische Frömmigkeit zugrunde.“ (s. Seite 53-56 (12. Januar)), das Rechtswesen (scharfe, schnelle Urteile nicht aufgrund von Paragraphen, sondern nach „Ehre und Billigkeit“ durch einen „ernsten, lebenswahren Mann“; auch über sog. „sittliche Scheusäligkeiten“ (s. S. 62ff.)) und die Religion vorstellen („15. April: Frühlings- und Ostertag“ (s. S. 67-70)).
[A]
3. Januar. Heute ist der neugeborene Sohn des Bauern Tees im Krankenhaus in Meldorf, nach gemeinsamem Beschluß des Kreisrichters, des Kreisarztes, des Vaters und meiner, vom Leben zum Tode gebracht, da er, wie die Kopfform erwies, am Gehirn ein Krüppel war.“ (S. 49)
[B]
11. Januar. Heute habe ich der dreißigjährigen ledigen Lisa Beer aus der Sippe der Wennemannen, die als biologisch wertvoll in den Listen steht, vom Richter und Kreisarzt den Befehl überbracht, noch in diesem Jahr ihr erstes Kind zu gebären und in den nächsten fünf Jahren weiteren zwei Kindern das Leben zu geben, widrigenfalls sie vorläufig auf ein Jahr zu dem harten Dienst im Arbeitslager in T. eingeliefert würde. […] Als ich fragte, ob sie keine Gelegenheit hätte zu heiraten, gab sie zu, daß sie die wohl gehabt hätte; aber nicht mit einem Mann, den sie liebte. […] Sie wird also Kinder haben. […] Nach dem Vater ihrer Kinder, wenn sie ihn nicht selber kund gibt, wird sie nicht gefragt werden.“ (S. 51)

[C]
1. Februar. […] Indem ich in den alten Tagebüchern der Amtsmannschaft blättere, finde ich die Eintragung des ersten Vorgängers 1923, das ist vor genau hundert Jahren: „Als ich das Amt übernahm, war es schon seit fünfzig Jahren Brauch […], daß die geistig Hellen und Verantwortlichen mit den Geburten zurückhielten und bei weitem nur die dumpfen und wirtschaftlich Verantwortungslosen sich vermehrten.“ / […] Nun ist alles anders: In meiner Amtsmannschaft sind in drei Geschlechterfolgen sieben Blutlinien, die seit drei oder vier Generationen nur eine Last für die Gemeinschaft waren, durch Unfruchtbarmachung ausgelöscht, ebenso viele Wertarme in ihrer Zahl beschränkt. / […] So wie der Staat von jeher verlangt hat, daß die Menschen, wenn es nötig, für ihn starben, so verlangt er jetzt endlich auch, daß sie für ihn erzeugen und gebären. […] Die Unsozialen, aber im übrigen Wertvollen, werden durch harte Strafen auf den Schwung gebracht. Die Kinder, die nun in den Dorfstraßen spielen […] sind gesund, und wenn nicht alle hell, so doch alle ernst und gutwillig.“ (S. 57-59)

[D]
28. Februar. Gestern der Oberrichter in meinem Amtshause zum Großgericht. / […]
Zuerst wurde, in einer Geheimsitzung mit dem Amtsarzt, über einen vierzehnjährigen Jungen verhandelt, der von Kind an am liebsten von „Gurgel abschneiden“ redete und vor eini- / gen Wochen eine Spielkameradin zu vergewaltigen und zu erdrosseln versucht hat. Da nach allen Erfahrungen anzunehmen ist, daß er, geschlechtsreif geworden, auch vielleicht sein krankes Erbe fortpflanzen wird, wird erwogen, ob er ausgelöscht werden soll. Er wird entmannt werden und kommt in Schutzhaft.“ (S. 59-61)
[E]
Danach wurde verhandelt über den dreiundzwanzigjährigen ledigen gewohnheitsmäßigen Herumtreiber Tees Tamm. Das Urteil schwankte zwischen Tod und lebenslänglicher Zwangsarbeit. […] Jetzt wird so ein Mensch entweder ausgelöscht oder, falls er zur Arbeit brauchbar ist, lebenslänglich in Zwangsarbeit getan. In der ersten Zeit, vor achtzig Jahren [fiktiv: 1943] wurden sehr viele ausgelöscht. […] Auch in dem gestrigen Fall wurde auf Entmannung und lebenslängliche Zwangsarbeit erkannt.“ (S. 62)

[F]
7. März. […]
Die Sechzigjährige Anna Bande, welche die unheilbare Krankheit, die sie befallen hat nicht mehr ertragen / kann und will, hat nach dem Beschluß, dem er Kreisarzt, der Adelsmann und ich beiwohnten, im Krankenhaus Gift bekommen, das ihr Leben geendet hat. Der fünfzigjährige Lehrer Thade, der an erblicher und unheilbarer Schwermut leidet und dieselbe Bitte geäußert hat, wird sicher auch erhört werden.“ (S. 65-66)
[G]
Am selben Tag. Da ich in den Itzehoer Nachrichten blättere, die vor hundert Jahren erschienen sind, lese ich in einer Nummer die Überschrift: „Gesteigerte Nachfrage nach holsteinischen Hengsten“. Damals gab es, unbegreiflicherweise, nur für Vieh und Korn Zucht und Zuchtverordnungen. Heute erzählt mir der Kreisarzt, daß drei junge Leute, Schleswiger, von guter Rasse, dem Zustand eines kleinen Dorfes in ….., aus dem zur Zeit infolge Inzucht drei Idioten und vier Irre am Leben sind, ein Ende machen sollen.“ (S. 66)

[H]
10 März. […] Der junge Dammer, der wegen wiederholten Betruges – er betrügt aus angeborner Sucht und Arbeitsscheu – im Zwangsdienst ist, hat durch Vermittlung des dortigen zuständigen Adelsmannes wegen Kränklichkeit um seine Befreiung gebeten, sonst müßte er sterben. Der Richter hatte dem Adelsmann, den er weichlich schalt, geantwortet: Wenn er stürbe, wäre ein Wertloser weniger. Der Oberrichter hatten diesen Bescheid gebilligt.“ (S. 67)

Die Einzelfälle die Frenssen aufzählt sind fast immer eindeutig: Man sieht es den geschilderten Menschen äußerlich an, bzw. ihr Verhalten lässt zweifellos darauf schließen, dass sie „wertlos“ sind. Die Art des tatsächlich oder auch nur vorauszusehenden „Vergehens“ (A, D) ist dabei oft weniger ausschlaggebend als dessen „erblich“ bedingte Ursache: Was er diagnostiziert ist in der Regel „angeboren“ (A, D, H) und „gewohnheitsmäßig“ (E),, daher aus rassistischer Sicht unveränderbar. Die Strafen sind entsprechend, wie bei „unheilbar Kranken“ (F), klar: Der sofortige Tod (A), Sterilisation (C, D, E), auch meist verbunden mit (lebenslanger) Zwangsarbeit im Lager (D, E), bei der ein frühzeitiger Tod keineswegs ungewollt, sogar eher erwünscht ist (H). [Im späteren NS-Regime: „Vernichtung durch Arbeit“].
Auf der anderen Seite steht die Menschenzucht (G), mit der Verordnung zur Schwangerschaft (B). Frenssen verurteilt - im Gegensatz zur bürgerlichen Gesellschaft jener Zeit nicht die Schwangerschaft von unverheirateten Mädchen und Frauen (so sie denn „gutes Erbe“ haben), die im NS-Staat später u.a. durch das sog. Lebensborn-Programm gefördert wurde.
An Umerziehung glaubt er aufgrund seiner biologistisch-rassistischen Ansichten wenig (C). Ziel sei die „Aufwertung“ der Bevölkerung durch Zuchtauswahl.

Was Gustav Frenssen hier ausführte ist viel früher Realität geworden, als er – und wohl die meisten anderen – es sich vorstellen konnten (nicht ab 1943, sondern schon ab 1933)). Obschon Frenssen „Vorland“ erst im Jahre 1937 veröffentlichte, zeigen sie doch wie weit gediehen seine menschenverachtenden Ansichten, bereits Anfang der 1920er Jahre gediehen waren. Frenssen ist zwar kein Vorläufer oder Vorbereiter solcher Ideen, die in und außerhalb der „Völkischen Bewegung“ schon Jahrzehnte früher ihre Heimat hatten, er hat sie aber aktiv gefordert und propagiert.

Montag, 13. Januar 2014

Brunsbüttel: Straßenname mit Beigeschmack (2014)

Auch in Brunsbüttel zieht die in Heide wieder aufgenommene Diskussion um eine Umbenennung hiesiger "Gustav-Frenssen-Straßen" ihre Kreise. Wie die "Norddeutsche Rundschau" am 9. Januar 2014 berichtete griff der "Verein für Brunsbütteler Geschichte" im Rahmen des "historischen Stammtisches" das Thema auf. Jens Binckebanck, Geschichtslehrer am Glückstädter Detlefsengymnasium, forderte nach einem ausführlichen Vortrag zur Lebens- und Werkgeschichte des Bartler Schriftstellers, dass „man sich nicht nur in Heide erneut dem Thema widmet und sich ernsthaft fragt, ob es richtig ist, dass Gustav Frenssen durch die Namensgebung einer Straße geehrt wird.
Die Diskussion war spätestens vor vier Wochen auch öffentlich nach Brunsbüttel übergeschwappt, nachdem in der "Dithmarscher Landeszeitung" vom 6. Dezember 2013 ein Leserbrief des Brunsbüttlers Walter Höer abgedruckt worden war, in dem dieser namentlich einige Umbenennungsbefürworter in Heide in rhetorischen Wendungen als "Bücherverbrenner" und "Nestbeschmutzer" bezeichnet hatte, denen er unterstellte "Helfer und Kriecher" "einer der selbstbewußtesten Nationen der Erde", die "sich für das auserwählte Volk" halte (= Israel/Juden) zu sein. Höer war als FDP-Direktkandidat bei der Kommunalwahl 2013 in Brunsbüttel angetreten und wäre im Falle einer Umbenennung der Straße persönlich betroffen.

Der unverhohlen antisemitische, diffamierende und ehrverletzende Ton des Leserbriefes, der auch die Frage aufwirft, weshalb die "Dithmarscher Landeszeitung" die Veröffentlichung nicht unterlassen hat, wurde von Binckebanck, der 2011 den Ortsverband der Bündnis/Grünen in Brunsbüttel mitbegründet hatte, wenige Tage später mit einer Replik offengelegt und deutlich mit Zitaten aus Frenssens menschenverachtenden Schriften und aktuellen Bezügen zum NSU-Terror beantwortet (Leserbrief: "Hohe Maßstäbe", 10. Dezember 2013).

In Brunsbüttel kursieren bereits erste Vorschläge im Falle einer Umbenennung der Straße: Als nachträgliches Geschenk zu seinem Geburtstag im Dezember 2013 könnte Willy Brandt Namenspatron werden (Leserbrief von Reimer Lützen, Brunsbüttel in der "Dithmarscher Landeszeitung" vom 10. Januar 2014).

Zum Bericht in der Norddeutschen Rundschau siehe hier:
https://www.shz.de/lokales/norddeutsche-rundschau/strassenname-mit-beigeschmack-id5374331.html

Donnerstag, 2. Januar 2014

Offen antisemitische und fremdenfeindliche Leserbriefe in der Frenssen-Debatte (2013)

Im Vorfeld und nach der Informationsveranstaltung zum Thema "Das Politikum Gustav Frenssen" am 17. Dezember 2013 im Kulturforum Heide-Ost wurden in der "Dithmarscher Landeszeitung" zwei Leserbriefe veröffentlicht, in denen die Autoren eine ideologische Nähe zu Frenssen zum Ausdruck brachten und dabei aggressiv-rechte Äußerungen tätigten.

Am 9. Dezember schrieb Walter Höer aus Brunsbüttel auf die Berichterstattung zum Thema "Gustav-Frenssen-Straße" hin:
"In der Mitte des Artikels fragte ich mich: "Denkt der Leser jetzt, ob hier nur harmlose Leute tätig sind, die ein Haar in der Suppe suchen, oder sind es ewig gestrige Weltverbesserer und Nestbeschmutzer?" Am Ende fragte ich mich: "Hat eine der selbstbewusstesten Nationen der Erde, in der nicht nur die orthodoxen Fanatiker sich für das auserwählte Volk halten, es nötig, sich solcher Helfer und Kriecher zu bedienen?"
Im folgenden nennt Herr Höer noch die Namen der von ihm so diffamierten Personen: Berndt Steincke, ehem. Vorsitzender der Stiftung gegen Extremismus und Gewalt in Heide und dessen Nachfolger Dieter Beuse, Propst Dr. Andreas Crystall, und Geschichtslehrer Dr. Matthias Duncker, die am derzeitigen Frenssen-Projekt beteiligt sind und schimpft sie nochmals (in einer rhetorischen Frage) "Bilderstürmer und Bücherverbrenner".

Schlimmer als diese Diffamierungen sind die tiefsitzenden antisemtischen Affekte. In der geistigen Nachfolge der "Protokolle der Weisen von Zion" unterstellt Herr Höer dem Staat Israel, bzw. den Juden (= "... eine der selbstbewußtesten Nationen", "... sich für auserwähltes Volk halten") eine (aktive) Rolle in der Heide Straßen-Umbenennungs-Debatte zu spielen. Eben diese Behauptung einer Verschwörung eines "internationalen Weltjudentums" ist eine der klassischen, auch im Nationalsozialismus gepflegten antisemitischen Diffamierungen: Sogar in die Angelegenheiten provinzieller norddeutscher Kleinstädte mischten "sie" sich ein, mittels williger deutscher "Helfer", "Kriecher" und "Nestbeschmutzer".

Im folgenden hetzt Herr Höer noch gegen die Erziehung "unsere[r] Einzel- und Verwöhntkinder" und verlangt:
"... dass man unsere ausländischen Einwanderer, die gerne bei uns bleiben möchen, davon überzeugt, dass sie ausschließlich hier ihre Heimat sehen und unsere Sitten und Gebräuche respektieren."
Ob für Herrn Höer zu diesen zu tolerierenden Sitten und Gebäuchen in Dithmarschen auch die bedingungslose Verehrung von Gustav Frenssen gehört, bzw. struktureller Antisemitismus, bleibt aufgrund dieser Zeilen zu vermuten. Es ist kein gutes Zeichen, wenn solche Ansichten und Stimmungen von jemandem verbreitet werden, der bei der schleswig-holsteinischen Kommunalwahl im Mai 2013 noch für die FDP angetreten ist.

Ein ganz ähnliches Weltbild ließ der am 27. Dezember 2013 veröffentliche Leserbrief von Karl-Wilhelm Looft aus Heide erkennen. Karl-Wilhelm Looft ist in dieser Hinsicht kein Unbekannter. Im Online-Archiv der rechtsnationalistischen Zeitung "Junge Freiheit" finden sich aus dem Jahre 2006 mehrere ausgeprägte Leserbriefe. Ebenso in der konservativen “Preußischen Allgemeinen Zeitung”.

Den Topos des rechtschaffenen Bürgers bedienend, sind für Herrn Looft die Initiatoren der Umbenennungs-Debatte "Müßiggänger, die wohl sonst nichts Ordentliches mit ihrer Zeit anzufangen wissen". Es folgt ein sehr allgemeiner Angriff auf Propst Dr. Crystall und "die Kirche", der von Unkenntnis, Unwahrheiten und Lügen strotzt:
"Aber warum mischt Propst Crystall mit? Warum mahnt unser Propst nur den Antisemitismus in der NS-Zeit an und will deswegen Gustav Frenssen aufarbeiten und nachholen, blendet aber 2000 Jahre Judenverfolgung von Kirche und Christen aus? Dabei hat sich Gustav Frenssen schon 1945 geläutert. Die Kirche hingegen hat bisher nichts zurückgenommen."
Propst Dr. Andreas Crystall schrieb seine Dissertation über Gustav Frenssen und veröffentlichte diese später als Buch. Seine Beteiligung an einer Informationsveranstaltung zu Frenssen ist daher alles andere als unverständlich. Schlimmer dagegen ist die Tatsachenverdrehung die ihr folgt. Herr Looft behauptet, die Kirche habe in Sachen christlichem Antijudaismus "bisher nichts zurückgenommen", auch nicht in Sachen Luther und dessen Pamphlet von 1543 ("Von den Juden und ihren Lügen"), während Gustav Frenssen sich im Jahr 1945 (seinem Todesjahr) davon (?) "geläutert" habe. Hier zeigt sich die realitätsverweigernde Resistenz des Autors, die nicht weiter belegt zu werden braucht.

In seinem Schlußplädoyer verharmlost Herr Looft schließlich sogar noch alle Dinge, für die Gustav Frenssen - und eigentlich auch der Nationalsozialismus insgesamt - zu verurteilen sind:
"Antisemitismus. Gab es den nicht schon immer? Euthanasie? Wird und wurde in vielen Staaten praktiziert! Und Rassengesetze? Die Zionisten gaben damals ihr Okay. Und man schaue heute nur nach Israel!"
Um Frenssen zu retten werden schließlich Antisemitismus, Euthanasie und Rassismus für allgemein üblich erklärt und verharmlost. Nach dieser Argumentation könnte man also eigentlich keinem Nationalsozialisten einen Vorwurf machen.
[Antisemitismus als rassistisch begründete Judenfeindschaft ist zudem erst ein Produkt des 19. und 20. Jahrhundert (Während der kirchliche Antijudaismus in der Regel über Jahrhunderte jüdisches Leben in Europa prinzipiell zuließ, strebte der Antisemitismus stets die "Auflösung" des Juden in seiner Eigenschaft als Juden an, sei es durch Auswanderung, durch extreme Anpassungsauflagen oder wenn dies - wegen ihrer nicht veränderbaren Eigenschaft als “unverbesserliche Rasseschädlinge" - schließlich für nicht möglich gehalten wurde: durch Auslöschung (3. Reich, Shoah/Holocaust)).
Euthanasie, bzw. der 100.000-fache Mord an Behinderten, Andersdenkenden, "Asozialen", ist in Deutschland außerhalb der Nazi-Zeit nie gesellschaftlich oder staatlich toleriert, praktiziert oder akzeptiert worden (Vor dem Hintergrund des biblischen Tötungsverbotes ist Sterbehilfe nur in sehr seltenen, bestimmten Fällen erlaubt).]

Dass man von Karl-Wilhelm Looft, der offen bekennt sich in den 50er und 60er Jahren für die "Freiheitspartei" des ehemaligen NSDAP und "Deutsche Reichspartei"-Mitglieds Prof. Heinrich Kunstmann engagiert zu haben, solches Schreiben erwarten kann, ist klar. Dass es die "Dithmarscher Landeszeitung" weder bei ihm noch bei Herrn Höer für bedenkenswert hielt, solche Hetze abzudrucken, ist dagegen schwer verständlich.

Das einzig gute daran mag sein, dass beide einmal mehr und wohl eher unfreiwillig bestätigen: Die Verteidigung Gustav Frenssen's ist und bleibt nur etwas für Rechte.